Zwischen Schlagzeile und Backend

  • Redaktionelle Arbeit trifft Produktentwicklung

    In vielen Redaktionen arbeiten crossfunktionale Teams zusammen. Stefan Kaltenbrunner, Journalist und ehemaliger Digitalchef, beschreibt eine typische Konstellation: Neben Chefredakteur:innen und Redakteur:innen sind heute zwei bis drei Produktmanager:innen, Techniker:innen, zwei bis drei Interface-Designer:innen sowie SEO-Expert:innen und mittlerweile auch Verantwortliche für die Abo-Modelle im Team vertreten. Dabei sei es die Aufgabe der Technik, den Journalist:innen ein System bereitzustellen, das sich im Alltag einfach nutzen lässt: „Die Technik tut nichts anderes, als dem oder der Journalist:in ein Paket hinzustellen, an dem man sich bedienen kann.“

    Auch bei derStandard.at ist die Organisation ähnlich aufgestellt. Armin Neuhauser, Senior UX Designer, spricht von rund 20 Personen, die an der Produktentwicklung und technischen Umsetzung arbeiten. Neue Features werden hier in einem sogenannten „Produkttrio“ – bestehend aus UX-Designer:in, Produktmanager:in und Entwickler:in – abgestimmt und entschieden. Die enge Verzahnung zwischen Redaktion und Produktentwicklung sei entscheidend, um die Plattform nutzerfreundlich und technisch aktuell zu halten.

    Ein zentrales Thema im Alltag der Teams ist die Gestaltung für mobile Nutzung. Bei derStandard.at kommen inzwischen rund 70 Prozent des Traffics von Smartphones, berichtet Neuhauser. Daher würden Inhalte heute „agnostisch“ aufbereitet – also so, dass sie auf unterschiedlichen Endgeräten gut funktionieren. Mobile Optimierung steht im Vordergrund: „Design ist der Fokus mobil“, so Neuhauser.

    Usability für zwei Zielgruppen

    Eine aktuelle Erhebung des Digital News Report 2025 zeigt deutlich, dass das Smartphone inzwischen das meistgenutzte Gerät für den Zugriff auf Nachrichten ist: 71,3 Prozent der Befragten gaben an, in der Vorwoche Nachrichten über ihr Smartphone gelesen zu haben. Erst mit deutlichem Abstand folgen Laptop oder Desktop-Computer (58,7 Prozent) sowie Tablets (35,6 Prozent). Diese Zahlen unterstreichen den anhaltenden Trend zur mobilen Nutzung und verdeutlichen, warum ein „Mobile First“-Ansatz bei der Gestaltung von Nachrichtenwebsites heute als Standard gilt.

    Usability spielt dabei eine doppelte Rolle: Sie betrifft nicht nur die Leser:innen, sondern auch die internen Arbeitsabläufe. Denn Usability, auf Deutsch Benutzerfreundlichkeit, beschreibt, wie leicht und effizient ein Produkt zu bedienen ist. Im Journalismus müssen Inhalte so gestaltet werden, dass sie leicht zu finden, einfach zu verstehen und gern gelesen werden, egal auf welchem Gerät. Neuhauser betont, dass er sich im Alltag um die Bedürfnisse einer doppelten Nutzergruppe kümmert: Um die externen User:innen, aber ebenso die Redakteur:innen, die mit dem System arbeiten. Damit Usability auch im redaktionellen Workflow gelingt, müsse das CMS stabil, schnell und flexibel sein. Der Blick auf die Inhalte selbst zeigt: Texte bleiben das bevorzugte Format. „Von den Usern hören wir, dass sie Texte lesen wollen – nicht hören“, sagt Neuhauser. Auch Kaltenbrunner bestätigt: Videos hätten sich im Verhältnis zum Produktionsaufwand kaum gelohnt. Stattdessen gehe es darum, journalistische Inhalte so darzustellen, dass sie schnell erfassbar und gut lesbar seien. Gleichzeitig wird die Rolle von Social Media als Konkurrenzfeld zunehmend spürbar, wie Kaltenbrunner anmerkt. Hier zeigt sich einmal mehr, wie sehr sich journalistischer Alltag heute an veränderte Nutzungsmuster und Erwartungen anpassen muss.

Die Nutzer:innen gestalten mit

Ein zentrales Element im digitalen Redaktionsalltag ist das kontinuierliche Nutzer:innenfeedback. Online-Journalist:innen und UX-Teams stehen in direktem Austausch mit ihrer Leserschaft — über Kommentare, Foren, Social-Media-Kanäle und zunehmend auch über gezielte Umfragen. Armin Neuhauser beschreibt, wie bei derStandard.at aktiv Feedback eingesammelt wird: „Viel über das Forum, immer wieder Umfragen über die Website oder andere Kanäle, zum Beispiel über WhatsApp mit 60.000 Leuten oder auf Instagram.“ Dieses proaktive Einholen von Nutzer:innenstimmen sei heute Standard — gleichzeitig komme „auch so viel Input von selbst“.

Chancen und Risiken

Darüber hinaus spielt datengetriebenes A/B-Testing im journalistischen Alltag eine immer größere Rolle. Stefan Kaltenbrunner hebt hervor, wie eng die Redaktion dafür mit der Technik zusammenarbeiten sollte: „Die Technik sollte in der Nähe der Redaktion sitzen, damit der Austausch leichter und schneller geht.“ Denn oft lasse sich beobachten, wie kleine Anpassungen — etwa eine veränderte Titelzeile — das Klick- und Leseverhalten nahezu in Echtzeit beeinflussen: „Man stellt einen Titel um und sieht fast in Echtzeit, wie der Artikel wieder an Popularität gewinnt.“ Diese unmittelbare Rückmeldung hilft Redaktionen, Inhalte und Darstellung gezielt zu optimieren — erfordert aber auch ein Gespür dafür, nicht zu sehr rein auf Klickzahlen zu schielen. „Daten erheben ist beim Journalismus das A und O“, so Kaltenbrunner, „bringt aber auch die Gefahr, zu sehr nach Klicks zu gehen.“

Was erwarten die Nutzer:innen eigentlich von modernen Newswebsites? Klare, strukturierte Inhalte — darin sind sich alle Interviewpartner einig. Texte bleiben das zentrale Format. „Von den User:innen hören wir, dass sie Texte lesen wollen – nicht hören“, sagt Neuhauser. Zwar gebe es eine kleine Zielgruppe, die auch Videos und interaktive Elemente schätzt, doch der Großteil komme für gut geschriebene Texte auf die Seite. Dies sei auch bei Kaltenbrunner der Erfahrung nach unverändert so: Videoformate seien oft teuer in der Produktion und stießen auf weniger Resonanz als erhofft.

Auch bei der Gestaltung und Platzierung von Werbung kommt es auf Usability an. Benedikt Salzbrunn mahnt an, dass schlecht platzierte oder unklar gekennzeichnete Werbung dem Medium schade: „Das knabbert an der Glaubwürdigkeit, gerade bei Advertorials, weil dann ärgert sich der:die User:in im Nachhinein, wenn er:sie draufkommt, das ist eigentlich Werbung.“ Werbung müsse so integriert sein, dass sie den Lesefluss nicht störe – sonst verliere der Nutzer das Vertrauen. Ähnlich sieht es Kaltenbrunner: Besonders problematisch werde es, wenn man bei Advertorials „keinen Unterschied merkt oder nicht sofort“. Hier zeigen sich die Spannungen, die zwischen redaktionellen und kommerziellen Interessen bestehen.

Dazu kommt der Druck durch Suchmaschinenoptimierung (SEO). Seiten, bei denen 60 bis 70 Prozent des Traffics über externe Quellen wie Google kommen, stehen vor der Herausforderung, neue Leser:innen auf der Seite zu halten. Auch dabei spielen Layout, Leseführung und die logische Platzierung von Inhalten eine entscheidende Rolle.

„Es ist dann eine Kunst, die Leute zu behalten“, sagt Kaltenbrunner.

Blickt man auf die zukünftige Entwicklung von Usability im Online-Journalismus, zeichnen sich klare Trends ab: Die Zeit, die Nutzer:innen aktiv auf einer Plattform verbringen, wird als Messgröße immer wichtiger. Stefan Kaltenbrunner beobachtet, dass dieser Aspekt zunehmend stärker in den Fokus rückt: „Es geht inzwischen um die verbrachte Zeit auf einer Plattform, das wird jetzt immer spannender.“ Ziel ist es nicht mehr nur, Klickzahlen oder einzelne Seitenaufrufe zu optimieren, sondern die Qualität der Nutzungserfahrung langfristig zu verbessern.

Auch die Rolle der Startseite bleibt entscheidend. Armin Neuhauser beschreibt sie als den „absolut wichtigsten“ Bereich, in dem sich die Interessen verschiedener Abteilungen bündeln. Dabei wünscht er sich mehr Übersichtlichkeit und einen stärkeren Fokus auf die Bedürfnisse der Leser:innen: Mehr klar erkennbare Einstiegspunkte in die Inhalte und eine bessere Orientierung könnten helfen, die Startseite stärker als Servicefläche auszubauen — anstatt sie mit internen Prioritäten zu überfrachten.

Technisch wird künftig der Einsatz von KI-gestützten Lösungen an Bedeutung gewinnen. Benedikt Salzbrunn sieht darin großes Potenzial: Eine Art AI-gestützte Tagesübersicht könnte den Nutzer:innen helfen, einen schnellen Überblick zu erhalten — und so den Einstieg in die Lektüre erleichtern. Gleichzeitig mahnt er an, die Qualität der Usability nicht aus den Augen zu verlieren: „Das Sammelsurium an Kleinigkeiten, die nicht passen — wie zum Beispiel nicht barrierefreie Infografiken oder technische Ladeprobleme — fällt stark ins große Ganze und ist entscheidend, ob ein:e User:in zurückkommt oder nicht.“

Usability als Kernaufgabe

Der journalistische Alltag bleibt also auch künftig stark durch Fragen von Usability und Design geprägt. Redaktionen, Produktteams und UX-Designer:innen arbeiten immer enger zusammen, um den sich wandelnden Erwartungen der Nutzer:innen gerecht zu werden — und um digitale Newsangebote so zu gestalten, dass sie in einem immer stärker umkämpften Umfeld bestehen können.

Stefan Kaltenbrunner

Journalist,
ehem. Online- Chefredakteur PULS4

Armin Neuhauser

Senior UX Designer bei DerStandard

Benedikt Salzbrunn

Lehrgangsleiter User Experience Management
am Technikum Wien